W A R T EN
Neulich las ich Begriffe zu GEHEN und BLEIBEN vor, den zwei Eckpunkten, zwischen denen sich Bewegung in unterschiedlicher Geschwindigkeit und unterschiedlichem Verhalten abspielt. Heute möchte ich Gedanken zum WARTEN vortragen.
WARTEN hat zwei Bedeutungen, die sich deutlich voneinander unterscheiden. Beide Inhalte handeln vom BLEIBEN und beinhalten meist SITZEN oder STEHEN. Die Absichten, die sich im WARTEN verbergen, sind sehr unterschiedlich. Die eine bezieht sich auf eine zeitliche Dimension, nach der das Warten endet, und ist von diesem Ende her bestimmt. Wir warten an der Haltestelle auf den Omnibus; wenn er angekommen ist, ist das Warten beendet. Wir warten auf den Freund, die Freundin, den Kellner, das Mittagessen, den Beginn des Kino-Films; wenn sie da sind, ist das Warten beendet, und das WARTEN „wartete“ nur auf diese Beendigung. Ohne Freund, Freundin, Kellner, Mittagessen, Film hätte es kein Warten gegeben. Im „Mythos Corfu“, warten die erwartbaren Gäste, die Mitarbeitenden, das Programm, die ganze Insel auf das Ende der Reise-Beschränkungen. Und hier zuhause fordern immer mehr Menschen das Ende der Corona-Beschränkungen ein: „Wir haben es satt!“ Aber – was sind schon drei Monate Einschränkungen innerhalb einer Lebenszeit von gut 100 Jahren …?
Das andere WARTEN benötigt kein zeitliches Ende. Die Zeit des Wartens ist auch völlig nebensächlich, gleich gültig. Dieses WARTEN ist kontemplativ. Der Wartende „ruht“ im Warten, geht im Warten auf. Das Warten ist Sein und Sinn der Zeit des Wartens. Es gibt nichts anderes. Dabei entsteht Ruhe, beginnt Stille.
Vor Jahren noch stand ich mit dem Auto vor der roten Ampel, knirschte mit den Zähnen, verfluchte die elende Warterei und wippte unruhig mit dem Fuß auf dem Gaspedal, willens, mit einem Schnellstart die verlorene, vergeudete Zeit wieder einzuholen. Es hat sich bei mir eine Veränderung ergeben: ich lobe die 8 Sekunden des Wartens an der roten Ampel – Ruhe in der stressigen Verkehrshektik – eine kleine Achtsamkeitsübung für mich und mein seelisches Gleichgewicht.
In diesem Warten geht es um ein SEIN-im-Warten, im Sinne von VERWEILEN: eine WEILE haben, eine kleine oder lange Weile, in der sich etwas ergibt, vielleicht etwas Neues, bisher nicht Gesehenes. Es geht dabei um ein Sein im Warten, an einem Ort weilen, in einer Zeit, in einem Gedanken, in Kontemplation sein. Wenige Menschen nur konnten in der Pandemie zu dieser Kontemplation gelangen. Für die meisten blieb diese Zeit eine Zeit der Einschränkungen und ein Warten auf das Ende. Die anderen sagten, sie hätten erlebt, dass sie in sich „geruht“ hätten, hätten nachgedacht, hätten bisherige Lebenspläne infrage gestellt und bei sich andere neue Einstellungen bemerkt.
Beim Warten im Verweilen geht es um den „richtigen Augenblick“, die „richtige Zeit“ für Handeln oder Los Lassen, für Regeneration und Neu Beginn, in dem sich wie bei Hermann Hesse’s Stufen-Gedicht der „Zauber des Neu Anfangs“ offenbart
(In diesem Sinn wünsche ich dem Mythos Corfu, allen Gästen und Mitarbeitenden einen Guten Neu Start)